„Die Faszien umgeben jeden Muskel, jede Vene, jeden Nerv und alle Organe des Körpers. Ein Netzwerk aus Nerven, Zellen und Röhren führt von den Faszien weg und zu ihnen hin. Es ist vernetzt und ohne Zweifel angefüllt mit Millionen von Nervenzentren und Fasern, die fortwährend vitale und zersetzende Flüssigkeiten nach innen und außen absondern. Durch die Aktion der Faszien leben wir, durch ihr Versagen sterben wir.“
(A. Still 1902, C. Hartmann, Das große Still-Kompendium)
Die wissenschaftliche Forschung in der Biologie befasste sich im 20. Jahrhundert fast ausschließlich mit dem Aufbau und der Funktion der Zellen. Der intrazelluläre Raum ist weitgehend erforscht und verstanden. Nun rückt auf einmal der extrazelluläre Raum in den Mittelpunkt der Betrachtung. Zellen sind für die Gewebskontinuität nicht verantwortlich, sie liegen zum Teil weit voneinander entfernt und können für die anatomische Form des Körpers und seiner Organe nicht zuständig sein. Es gibt aber keine leeren Räume im Körper sondern sie werden von einem kontinuierlichen fibrillären Netzwerk, den Faszien, ausgefüllt. Man kann anatomisch Organe, Muskeln, Sehnen, Nerven und Gefäße voneinander unterscheiden, aber alle diese Strukturen werden von dem feuchten und schimmernden Bindegewebe strukturiert und umgeben. Faszien sind aber nicht nur Verpackungsmaterial, sondern es handelt sich um das am reichsten sensibel innervierte Organ des Körpers. Durch die Dichte der sie besiedelnden Rezeptoren und deren verschiedenen Arten sind sie für die Eigenwahrnehmung, die Tiefensensibilität und die Schmerzempfindung das wichtigste Gewebe. Die in den Faszien befindlichen Zellen kommunizieren in Schallgeschwindigkeit (ca.1100 km /h) miteinander, das ist dreimal schneller als das Nervensystem arbeitet. In ihnen befinden sich auch Zellen, die für das Immunsystem wichtig sind und somit spielt das Bindegewebe eine große Rolle in der Immunabwehr.
Andrew Taylor Still, der Begründer der Osteopathie, erkannte schon 1878 die entscheidende Rolle der Faszien für die Gesundheit von Mensch und Tier.
„Die Rolle, welche die Faszien in Tod und Leben spielen, konfrontieren uns mit einem der größten Probleme, die es zu lösen gilt“ A.T.Still, 1902
Das Fasziengewebe findet nun auch in der Veterinärmedizin immer mehr Beachtung. Leider ist es noch schwer, anders als mittlerweile in der Humanmedizin, ganz genaue Lagen und Bezeichnungen der Faszien beim Pferd zu finden. Das ist sicher ein lohnendes anatomisches Projekt für die Zukunft.
Für die Therapeuten, seien es Tierärzte, Physiotherapeuten, Osteopathen, Akupunkteure und Craniosacraltherapeuten, sind die Faszientherapien außerordentlich erfolgreich, mit zum Teil auch tiefgreifenden positiven Verhaltensänderungen.
Durch die Erkenntnisse der Faszienphysiologie- und pathologie können auf einmal die Wirkungsweisen der verschiedenen heilsamen und schmerzbefreienden Techniken, auch die der Akupunktur, verstanden und erklärt werden.
Anatomie, Physiologie, Funktion und Pathologie der Faszien
Die Wiederentdeckung oder gar das Entdecken der Faszie (lateinisch: Fascia = Verbund, Bündel) mit den vielen neuen Erkenntnissen aus aller Welt machte eine moderne und umfassende Definition dieses Gewebes vonnöten. Dies geschah auf dem 1. Internationalen Fascia Research Congress 2007 in Boston. Danach sind Faszien:
In den jetzigen Anatomiebüchern sind die Synonyme für Faszien Membranen, weißliche Substanz, Stroma, Aponeurosen oder auch die bedeckende Gewebssdchicht.
Bei all diesen Auflistungen sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass das Fasziennetz ein Kontinuum im Körper bildet. Es ist das einzige Körpergewebe, das alle Strukturen miteinander verbindet. Die Faszien geben dem Körper die äußere Form. Sie strukturieren, trennen, verbinden, umhüllen und durchziehen die Muskeln, die Organe, die Nerven und die Gefäße und gewährleisten die Gleitfähigkeit dieser Strukturen untereinander. Sie bilden Straßen für die Gefäße und Nerven und schützen sie vor Abrissen. Sie halten die Organe durch Aufhängungen mit größtmöglicher Stabilität und Mobilität an ihrem Ort.
„Das Muskel-Knochen-Konzept, wie es in den üblichen anatomischen Beschreibungen präsentiert wird, zeichnet ein rein mechanistisches Modell der Bewegung. Es unterteilt Bewegung in nicht zusammenhängende Funktionen und kann somit kein Bild von einer nahtlos integrierten Bewegung, wie sie in einem lebenden Körper zu sehen ist, vermitteln. Wenn sich ein Teil bewegt, antwortet der ganze Körper. Auf der funktionellen Ebene kann das Bindegewebe als einziges Gewebe diese Mittlerfunktion übernehmen.“ (Feitis R. The endless web,Berkeley).
Um zu überleben ist die Energieeffizienz in Haltung und Bewegung für Mensch und Tier existentiell. Eine Hauptfunktion der Faszien im Körper ist die Formgebung und Stabilisierung des Körpers, auch seiner Organe, bei größtmöglicher Mobilität ohne Verbrauch von Muskelarbeit und damit Energie. Um diese Funktion besser verstehen zu können eignet sich das Tensegrity –Modell (Abb. 1-1), das von dem Architekten Buckminster Fuller (1895 – 1983) 1975 entwickelt wurde.
Auf den Körper übertragen sind die Stäbe die Knochen des Skelettes und die unter konstanter Spannung stehenden Gummiseile sind die Faszien, deren Zugspannung so die Körperform stabil sowie mobil erhält. Diese Zugspannung ist für den gesamten Tonus im Körper verantwortlich und verbraucht zu dessen Erhalt keine Energie. Einwirkende Kräfte werden auf dieses stabile und sogleich mobile Spannungsnetz im gesamten System verteilt und aufgefangen. Dieses reagiert immer wie eine zusammenhängende Einheit. Schon Andrew Taylor Still beschrieb, dass der Körper konstant im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Mobilität steht. Für einen gesunden Körper muss beides im richtigen Verhältnis stehen. Das setzt ein freies Gleiten der einzelnen Faszien voraus. Wenn diese Verschieblichkeit (shearmotion) eingeschränkt oder aufgehoben ist spricht man von einer Faszienrestriktion. Die physiologische Mobilität ist vermindert oder aufgehoben und das verursacht durch das Kontinuum des Gewebes weitreichende Probleme.
Gesunde Faszien garantieren eine gute Körperwahrnehmung. Sie sind reich besiedelt mit Rezeptoren, die Rückmeldungen über Haltung und Bewegung geben. Faszienstörungen führen zu einer gestörten Tiefensensibilität. In der Humanmedizin wurde erkannt, dass bei alten Leuten oft der Übergang von der Achillessehne zur Plantarsehne , der Sehnenplatte in der Fußsohle, durch das Gehen mit dem initialen Fersenkontakt degeneriert und so die Verbindung durchtrennt wird. Dies äußert sich durch einen sehr unsicheren, tappenden Gang und erklärt die vielen , oft lebensbedrohlichen Stürze der alten Menschen. An diesem Beispiel kann man die enorme Bedeutung der Faszien für die Tiefensensibilität erkennen.
Pathologie der Faszien
Faszien müssen den gegenüber den einzelnen Faszienfasern und makroskopischen gegenüber allen Faszienschichten frei verschieblich sein. Ist diese Verschieblichkeit in eine oder mehrere Richtungen eingeschränkt spricht man von einer Faszienrestiktion. Eine gesunde Faszie lässt sich reibungslos verschieben. Bei Verletzungen, Ruhigstellung oder Bewegungsarmut (unused arc theory) kann sich die shearmotion des Gewebes vermindern, die Faszien „verkleben“. Durch die Faszienkontinuität können sich diese pathologischen Spannungsveränderungen im ganzen Körper übertragen und zu Bewegungsstörungen, Durchblutungsstörungen und durch die veränderte Propriozeption auch zu Koordinationsstörungen führen. Kurzfristige Restriktionen beeinträchtigen den Körper eher lokal, bleiben sie länger bestehen, können durch die daraus folgende falsche Neuausrichtung der Fasern größere Funktionsstörungen entstehen. Der größte Auslöser der Restriktionen ist die Immobilisation. Wenn ein Pferd 23 Stunden in der Box steht, kommt es zu einer verminderten Elastizität und Stabilität der Faszie. Vielleicht ist auch so der in der Reitersprache bekannte Begriff:“ Zieh ihn mal aus der Box „entstanden. Das Pferd geht langsam und mühselig die ersten Schritte nach der „Boxenruhe“. Durch die fehlende Bewegung nimmt die Fettschicht zwischen den Faszienschichten zu und dies kann zu weiteren Restriktionen bis hin zu den Kapselfalten in den Gelenkkapseln führen. Bei starker Überbelastung kann es zu Rupturen der Faszien kommen, die sich dann in den typisch eingezogenen Narben zeigen. Hier ist die Mobilität gegenüber den umliegenden Faszien stark vermindert.
Aber auch Muskelkater, Muskelzerrungen, Sehnenreizungen, Bänderreizungen-oder verletzungen und Knochenhautreizungen sind fasziale Verletzungen.
Es wird durch die neuesten Forschungen immer deutlicher, dass ein Zusammenhang zwischen dem Faszientonus und dem Sympathicus, dem Leistungsnerv, besteht. Man findet in den Faszien glatte Muskelzellen wie in der Gefäßmuskulatur. Diese Zellen unterliegen wie die glatte Muskulatur dem autonomen Nervensystem und werden bei Stress und Angst vermehrt gebildet und kontrahieren sich. Der hohe Faszientonus führt zu vermehrter Kompression in den Geweben, sei es in der Muskulatur oder in den Gelenken und Bändern und so zu einer schlechten Stoffwechsellag in diesen Gebieten. Ein Pferd, das im Stress ist, zeigt eine deutliche Muskeltextur durch die erhöhte Faszienspannung.
Die Verklebungen und Gewebsveränderungen hängen immer von der Größe des initialen Traumas ab. Je größer und tiefer und damit mehrere Gewebsschichten betreffend die Gewebszerstörung ist umso weniger erfolgreich ist die Wiederherstellung der Verschieblichkeit des Gewebes. Der Reparaturprozess verläuft immer gleich, unabhängig ob Muskulatur, Haut, Sehnen oder Knochen betroffen sind. Das bedeutet, dass das Narbengewebe keine Funktionalität besitzt und somit immer ein Störfeld darstellt.
„Eine Narbe hat keinerlei funktionellen Nutzen. Ihr einziger Zweck besteht darin, im verletzten Gewebe das Loch zu stopfen““. (Faszien, Architektur des menschlichen Fasziengewebes, Jean-Claude Guimberteau).
Im Alter lässt der Flüssigkeitsgehalt im in den Faszien nach und sie werden fester.
In der Jugend zeigen die Muskelfaszien ein klares Scherengittermuster auf. Zudem verlaufen die rautenförmigen Fasern in kleinen Wellenlinien, so dass Dehnungskapazität gegeben ist.
Bei den älteren Pferden sieht die Anordnung eher verfilzt aus. Die Faszienenden sind hier miteinander verklebt und die Elastizitätät ist eingeschränkt.
Beim Menschen kann man die Faszienverklebungen z.B. in der Weise sehen wie sie sich bücken. Im Alter wirkt es ungelenk und steif, es gelingt nur noch mit gebeugten Knien. Oder man kann die Arme nicht mehr ganz nach oben recken oder den Kopf weniger drehen.
Wenn dies mit der weniger werdenden Bewegung zusammentrifft, entsteht ein Wechselspiel und die Elastizität nimmt so immer weiter ab. Und der Alterungsprozess beschleunigt sich. Die Ursache der starken Verklebungen ist die Erhöhung der Energieeffizienz. Das alte Pferd in der Wildnis hat vielleicht Zahnprobleme und kann nicht mehr genug Nahrung aufnehmen So kann r mit weniger Muskelarbeit und damit mit weniger Energieverbrauch länger überleben.
Hier bewahrheitet sich der Ausspruch Andrew Taylor Stills, das Bewegung Leben bedeutet. Für das ältere Pferd ist deswegen vielseitige Bewegung von größter Wichtigkeit.
Ein wichtiger Hinweis vorab: In der Humantherapie gibt es ein Lager von Therapeuten, für die eine erfolgreiche Behandlung schmerzhaft sein darf, eine Kollegin von mir nannte es den “Euschmerz“. Dieser Mechanismus der Counterirritation kann zur Schmerzlinderung führen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Patient diesen Schmerz als notwendig einsieht und akzeptiert. Wenn der Patient diesen Schmerz aber als unangenehm oder sogar als gefährlich empfindet, ist dieser durch die Behandlung ausgelöste Schmerz kontraproduktiv. Das führt zur Verspannungen und zu einer Abwehrhaltung.
Merke: Ich kann einem Pferd nicht erklären, dass ich jetzt eine schmerzhafte Counterirritation durchführe. Es empfindet Schmerz! So sollte jede Faszienbehandlung sanft und schmerzfrei sein und bei jeder Abwehrbewegung des Pferdes sollte man seine Technik überprüfen.
Das kann schon jeder Besitzer beim Putzen des Pferdes. Das Striegeln mit einem weichen Gummistriegel senkt über die kreisenden Bewegungen über bestimmte Rezeptoren den Stress in den Faszien und regt den Stoffwechsel an. Wichtig ist hierbei auf jeder Stelle mindesten 2 Sekunden mit monotonen Kreiselungen zu striegeln um diesen Effekt zu erreichen. Auch hierbei muss der Druck und das Tempo so abgestimmt sein, dass das Pferd keine Abwehrbewegungen zeigt. Das abschließende Büsten in Fellrichtung, die auch immer die Zugrichtung der Faszien anzeigt, löst Verklebungen in der oberflächlichen Körperfaszie. Massage und der Tellington Touch sind weitere hervorragenden Faszientherapien.
Andere Techniken, wie das myofasziales Release, der subkutanen Reflextherapie, manuelle Muskel, Gelenk-und Sehnentechniken, Lasertherapie oder Matrixrhythmustherapie und die Akupunktur sollten ausgebildeten Therapeuten überlassen werden.